Bild nicht mehr verfügbar.

"Das Ansehen unseres Landes wächst", erklärte Premier Erdogan (li.) 2011. Dann kamen die Jihadisten in Syrien und der Sturz des Erdogan-Freunds Morsi in Kairo. Außenminister Davutoglu will korrigieren. 

Foto: APA/EPA/Souissi

Es ist das bisher auffälligste Zeichen einer Kehrtwende in der Außenpolitik, die sich mit Syrien und der arabischen Welt übernommen hat.

Vor zwei Jahren waren sie noch ganz oben. Das Time Magazine glaubte daran und machte den türkischen Premier zu seinem "Mann des Jahres". Die "strategische Rolle"  der Türkei gehörte zum Stehsatz jeder Diplomatenrede in Washington und Brüssel. "Das Ansehen unseres Landes wächst jeden Tag" , erklärte Tayyip Erdogan im Oktober 2011 seinen Parteileuten, aufgepumpt von dem Empfang, den ihm Ägypter, Libyer und Tunesier bei einer Siegestour durch die Länder des Arabischen Frühlings bereitet hatten.

Nicht mehr so heute. 38 Prozent der Ägypter haben eine positive Meinung von der Türkei, ergab eine Umfrage des Istanbuler Thinktanks Tesev; 2011 waren es 86 Prozent. "Reset"  ist das Schlagwort, das die Runde bei Politikkonferenzen und Leitartikelschreibern in der Türkei macht, ein "Neustart"  der Außenpolitik nach einer Bruchlandung in Nahost, die Ankara nicht eingesteht.

Besuch beim Nachbarn

Mit Verve macht sich Außenminister Ahmet Davutoglu an die Aufgabe. Sein Besuch beim isolierten Nachbarn Armenien heute, Donnerstag, nach vier Jahren diplomatischen Stillstands gilt als das bisher überraschendste Ergebnis dieser Kehrtwende.

2009 hatte Ankara unter Schweizer Vermittlung und Patronanz der US-Regierung zwei Protokolle zur Normalisierung der Beziehungen mit der früheren Sowjetrepublik unterschrieben. Eine Anerkennung des Völkermords an den Armeniern machte Eriwan gar nicht erst zur Bedingung; der armenischen Regierung ging es in erster Linie um die Öffnung der Grenzen und die wirtschaftliche Entwicklung. Der türkische Staatspräsident kam gar zu einem Fußballspiel in die armenische Hauptstadt.

Am Ende aber beugte sich Ankara dem Druck des Öl- und Gaslieferanten Aserbaidschan und verlangte von Armenien Zugeständnisse bei den Karabach-Verhandlungen. Die "Zürich-Protokolle"  sind deshalb nicht ins türkische Parlament zur Ratifizierung gekommen.

Davutoglu nimmt nun zwar bloß an einer Außenministersitzung von BSEC in Eriwan teil – der Organisation der Schwarzmeeranrainerstaaten, der auch Armenien angehört. Dennoch sind die Erwartungen der Armenier ziemlich hoch.

Der Außenminister setzt einen "neuen Akzent" , stellen die türkischen Kommentatoren fest, verweisen auf Syrien oder die EU. Weil sich Erdogan und Davutoglu in die Vorstellung verrannt hätten, den Sturz von Assad in Syrien mithilfe des Westens und anti-schiitischer Hardliner vom Golf bewerkstelligen zu können, suchten sie nun einen Ausweg. Wieder zurück nach Brüssel, sei eine der Losungen. Der jüngste, halbe Kompromiss mit der EU zeige das: zeitlich nicht festgelegte Visaaufhebung für die Türken gegen die Unterschrift der Regierung unter das technisch aufwändig umzusetzende Abkommen über die Rücknahme von Flüchtlingen.

Gleichzeitig kurbeln die innenpolitischen Gegner Spekulationen über eine Ablösung Davutoglus bei der kommenden Regierungsumbildung an. Ali Babacan, der Wirtschaftsminister und Vizepremier, könnte wieder einspringen, heißt es. Er war 2007 bis 2009 Außenminister – vor der "neo-osmanischen"  Phase von Davutoglu. (Markus Bernath aus Istanbul /DER STANDARD, 12.12.2013)